Unser „Little Bird“ ist wieder frei. (Gedanken zur Trauerfeier von Yen Ly Lai Thi)

1Ein Thema,  das uns an dieser Stelle bislang eher weniger beschäftigte, handelt vom Sterben und gerade in Zusammenhang mit NF2 sollte man es nie ganz ausklammern. Zu Beginn des Jahres folgte diesbezüglich eine Hiobsbotschaft der nächsten und es war für alle eine nicht wirklich leichte Zeit. Klaus war bei einer „etwas anderen“ Trauerfeier dabei. Lässt das Ganze nochmal Revue passieren und verarbeitet dabei auch ein wenig seine Trauer.

Es ist kalt und grau in Berlin. Wir sind auf dem Weg, zur Trauerfeier von Yen Ly. Viele Kilometer auf der Autobahn liegen hinter uns. Viel Zeit an die Zeit mit ihr zu denken, viel Zeit bei ihr zu sein, viel Zeit traurig zu sein.

Traurig sein und Yen Ly passten anfangs nicht so richtig zusammen. Als junger Teenager kam sie in unsere Gruppe. „Ich habe NF2, leicht äußerlich ausgeprägt“ schreibt sie in Ihrer Vorstellung in unserem Forum als Littlebird. Den Namen hatte sie sich für ihre Mailadresse ausgesucht. Bei einem Seminar in Berlin lernten wir sie persönlich kennen. Fröhlich, lebenslustig, fast unbekümmert wirkte sie und doch konnte sie erkennen welch schwere Krankheit sie hat. Die ersten Operationen sollten sie zunächst nicht aus der Bahn werfen. Voller Energie mit viel Mut flog der kleine Vogel weiter. Die Schule abschließen, studieren, ein normales Leben führen, frei sein, so war der Plan.

Die Trauerfeier wird keine von der Art sein, die wir kennen. Die Familie ist tief im Buddhistischen Glauben verwurzelt. „Ich lebe seit meiner Geburt in Deutschland, obwohl ich 100% Vietnamesisch bin“. Schreibt sie in unserem Forum. Zwei Welten in denen sie zuhause ist, zwei Welten zwischen denen sie hin und her fliegt. Anfangs fällt ihr das leicht, doch dann schlägt die Krankheit immer härter zu und fängt den Littlebird immer mehr ein. Welcher Arzt ist der Beste? Welche Behandlung soll sie wählen? Schulmedizinisch, oder althergebrachte Vietnamesische Heilkunst.

Es ist kalt und grau. Im Hof ist das Kondolenzpult aufgebaut und einige Angehörige sind zu sehen. Einige in Buddhistischer Trauerkleidung des Klosters, der die Familie angehört. Wer wird noch kommen außer uns. Einige aus unserer NF2 Gruppe hatten sich angemeldet, für viele andere ist der Weg nach Berlin jedoch zu weit und zu anstrengend gewesen. Bis auf die Eltern und Leuten aus unserer Gruppe kenne ich keinen. Sicher werde ich Ihre Freundin kennenlernen, die mir oft half, wenn wieder einmal kein Kontakt zu Yen Ly herzustellen war? Mitarbeiter von den verschiedensten Einrichtungen, die sie auf ihrem Weg begleiteten, werden wohl nicht kommen. Zu sehr liegen Yen Lys Welten auseinander.

Die Gedanken wandern wieder zu Yen Ly. Wie gerne hätte sie allen gezeigt was in ihr steckt und wie gut sie alleine klar kommt. Doch jedes Mal kommt eine neuer Schicksalsschlag, der sie immer mehr von Hilfe abhängig machte. Fliegen konnte Littlebird schon lange nicht mehr, aber bestimmen wo es lang geht, das wollte sie sehr. Mit dem Gefühl, dass sie das zum Schluss geschafft hat gehe ich weiter.

Der kleine schlichte Raum mit geweißten Wänden und Steinfußboden ist voll. Stuhl an Stuhl reihen sich aneinander, so dass es Mühe macht mit den Rollstühlen und Rollatoren zurecht zu kommen. Wir sind mit den Ritualen und Verhaltensregeln nicht vertraut und wissen nicht so recht wie wir uns verhalten sollen. Doch trotz Sprachbarrieren wird sich verständigt und wir bekommen Plätze, so dass wir NF2 Freunde zusammen sitzen können. Ein kleiner Altar mit verschiedenen Utensilien, die ich nicht kenne, auf der linken Seite und der Sarg, in einem Meer von weißen Rosen in der Mitte. Davor noch ein kleiner Altar auf dem Speisen stehen und ein Bild von Yen Ly, das sie so zeigt, wie wir sie kennengelernt haben. Das alles strahlt Harmonie und Ruhe aus, wärend sonst eher Betriebsamkeit herrscht. Leute kommen und reden miteinander. Plätze werden eingenommen und ein wenig geredet. Die Trauergäste scheinen natürlich mit dem Tod umzugehen. Sicherlich ist eine gewisse Trauer zu spüren, doch Leid und Verzweiflung scheinen hier keinen Platz zu finden. Die Eltern und Geschwister kommen herein. Alle, wie auch scheinbar die ganzen Angehörigen, in Kleidung des Klosters. Zwei Mönche und eine Gehilfin stehen an dem linken Altar. Es folgt eine Ansprache auf Vietnamesisch. Ich werde von einem Mann gefragt, ob er uns übersetzen soll. Gerne nehme ich das Angebot an. So bekommen wir zumindest Inhaltlich Informationen aus den Ansprachen, die ich gleich in Gebärden und die Schriftdolmetscherin von Beate in geschriebene Worte übersetzen.

Jetzt fängt das eigentliche Ritual an. Die Geschwister knien vor dem Altar, auf dem Räucherkerzen angesteckt worden sind. Einer der Mönche redet im Sprechgesang, es sind wohl Gebetsformeln, und schlägt dabei immer wieder auf ein Glöckchen. Der Andere begleitet mit einer kleinen Schelle. Die Geschwister verneigen sich in regelmäßigen Abständen vor dem Altar, wozu sie manchmal von der Gehilfin recht energisch aufgefordert werden. Yen Ly kommt mir in den Sinn. Sie hätte sich sicherlich ein wenig amüsiert darüber. Vielleicht ist es vergleichbar mit zwei jungen Christen, die vor der Trauergemeinde das Vater Unser und das Glaubensbekenntnis aufsagen müssten und dabei ins Stocken kommen.

Nach einiger Zeit wechseln die Priester mit Gehilfin und den beiden Geschwistern zu dem Altar vor dem Sarg. Speisen sind dort aufgebaut, die sinnbildlich, unter weiteren Gebetsformeln und Begleitung der Instrumente, mit Yen Ly geteilt werden. Für mich ist es ein schönes Gefühl zu sehen, wie die Geschwister, sicherlich eingebunden in Buddhistische Rituale, Kontakt mit ihrer Schwester aufnehmen. Als unser Sohn Tobias mit 20 Jahren an den Folgen einer NF2 Operation starb, wäre ich wohl nicht in der Lage gewesen Essen mit ihm zu teilen. Vielmehr wäre ich wohl in Tränen ausgebrochen. Doch hier strahlen alle eine gewisse Ruhe und Sicherheit aus, die wohl im Glauben begründet ist.

Nach diesem Teil der Trauerfeier, oder besser gesagt, des Abschiednehmens, wird Musik gespielt. Von guten Mächten wunderbar geborgen. Ohne Gesang und doch eine deutliche Brücke zu der Welt, in der Yen Ly zuletzt lebte. Nach einigen Ansprachen folgt eine Schweigeminute und Musik aus ihrer vietnamesischen Welt. Ergreifend ist dann der Trauerumzug um den Sarg. Angeführt von der Familie und gefolgt von den Trauergästen wird persönlich Abschied genommen und viele weiße Rosen in das Rosenmeer auf dem Sarg gesteckt. Ich denke dabei: „Flieg Littlebird, jetzt bist Du frei.“

Draußen ist noch Gelegenheit sich in das Kondolenzbuch einzutragen. Es wird Tee und Kaffee angeboten und man hat Gelegenheit miteinander zu sprechen. Viel zu sehr bin ich aber mit meinen Gedanken bei der Trauer um Yen Ly und Tobias, als dass ich reden und dolmetschen könnte. Nach wenigen Worten verabschieden wir uns und gehen. Kurz darauf kommt uns Yen Ly`s Mutter nachgeeilt. Sie umarmt uns und zeigt uns wie verbunden sie mit unserer „NF2“ Familie ist.

So, wie ich bei einem schnellen Porsche an Tobias denke, werde ich wohl an schönen Tagen beim Anblick eines schönen kleinen Vogels an Yen Ly denken. Nur im Winter funktioniert das nicht, dann ist sie bestimmt in ihrer vietnamesischen Welt.

P.S.: Zu Lebzeiten hat Yen Ly gesagt, sie möchte das Buch „Stobel und die Antwort vom Wind“ bekannter machen, auch um zu zeigen wie man mit einer Krankheit umgehen kann. Leider konnte sie es selbst dann nicht mehr. Vielleicht gelingt es ihr jetzt noch auf diesem Wege.

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